Ich finde es sehr schade, eine so interessante Frage so halb- oder viertelbeantwortet stehen zu lassen. Aus den Ausführungen zu dem Märchen "Hänsel und Gretel" gibt es einige interessante Absätze über Hexen. Ich denke, das beantwortet die Frage, was eine Hexe überhaupt ist, ganz gut und sehr ausführlich, ist aber trotzdem einigermaßen dicht und kurzweilig geschrieben.
"Die Märchenhexe - die theologische Hexe
Weder im Pentamerone noch in den >>Contes<< des Charles Perrault wird von menschenfressenden Hexen erzählt. In beiden Sammlungen gibt es Menschenfresser, gibt es auch menschenfressende Frauen; aber die Giftmischerin und Kinderfresserin, die uns in Grimms Märchen hinkend, auf einen Stock gestützt, heimtückisch kichernd entgegenschleicht: uralt und rotäugig, Nase und Rücken krumm, maleficium im Kopf - diese Art Hexe, mit der angeblich Hänsel und Gretel ihre Händel hatten, gibt es im europäischen Volksmärchen bis zum 17. Jahrhundert noch nicht. Es gibt sie zwar bereits in Mönchsköpfen, gibt sie auch in der Vorstellung des Volkes: doch sie ist noch nicht verwurzelt. Sie ist ein ideologisches Artefakt, entstanden in den Werkstätten kirchlicher Glaubenswächter, ausgeformt und feingeschliffen von den Inquisition gegen Ende des fünzehnten Jahrhunderts.
(Vgl. Lily Weiser-Aall: Hexe. In: Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bände. Berlin, Leipzig: de Gruyter, 1927-42. Bd. III, Sp. 1827-1920.)
Dieses Hexenbild der frühen Neuzeit ist zu facettenreich, um hier abgehandelt zu werden. Es ist das Schmelzprodukt verschiedener heidnisch-volkstümlicher Vorstellungen und Traditionen mit theologischen Entwürfen von Zauberei und Ketzerei, deren markanteste den schwarzen, frauenfeindlichen Phantasien kasernierter, vom Zölibat überforderter Mönche entstammen.
(Vgl. Lily Weiser-Aall, wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1827-1920; Robert Edward Lee Masters, wie Anm. 35, S. 12; Franz Gabriel Alexander und Sheldon Theodore Selesnik: Geschichte der Psychiatrie [The history of psychiatry]. Ein kurzer Abriß der psychiatrischen Theorie und Praxis von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart. Konstanz: Diana Verlag, 1969. S. 96.)
Ich will an dieser Stelle nur einen Aspekt hervorheben:
In einem germanischen Gesetzestext wird die zauberkundige, hexenartige Frau u.a. als herbaria bezeichnet, als Kräuterfrau also. In anderen Quellen ist sie die angenga, die >>einsam herumschweifende<<, auch die holzmuoia (Holzmütterchen), die Waldfrau. Im 16. Jahrhundert sprach man von Nachtfrawen und Feld Frawen und shließlich, ein wichtiger Hinweis, von Feen.
(Lily Weiser-Aall, wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1836 F. Dies wiederlegt die Vermutung, die Fee sei in Deutschland nie recht heimisch gewesen; als Variante der Hexe hat sie gelebt, ist sie kein französischer Import oder moderner Zug.)
In der Überlieferung ist demnach die einsam den Wald durchstreifende Kräutersammlerin nicht zu unterscheiden von all den dämonischen wilden Weibern, Waldfrauen und Aufhockerinnen, die auch im Märchen eine bedeutende Rolle spielen, von den bösen und guten, elfen- oder feenhaften Wesen aus dem Geisterreich. Sie ist die heidnische weise Frau, die Wunderheilerin und Hebamme, die Ärztin des Volkes, aber, wenn sie zornig, eifersüchtig oder einfach gemein ist, auch die Verderberin und Mordzauberin, die malefica. Sie stand, ohne daß sie dies immer gewußt hätte, in der Tradition uralter, wahrscheinlich in matriarchalischer Zeit wurzelnder Weiberbünde teils orientalisch-romanischer, teils germanischer Provinienz.
(Vgl. Lily Weiser-Aall, wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1836 f.; auch Will-Erich Peuckert: Hexen- und Weiberbünde. In: Kairos 1960, S. 101-105.)
Der Nimbus von Magie, der sie und ihr Wirken umgab, erzeugte Achtung, aber auch Angst. Sie war die hagazussa - das ist die älteste Form des Worte Hexe, die bekannt ist - die Zaunreiterin, die mit einem Bein im Dorf, in der Zivilisation stand, mit dem anderen im Draußen, dem Geisterreich.
(Vgl. Hans Peter Duerr, wie Anm. 20, S. 62 f.; anders Lily Weiser-Aall, wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1838, die der Ansicht ist, mit der Zaunreiterin sei die auf einer Zaunlatte durch die Luft reitende Hexe gemeint.)
Ihr Haus war abseits gelegen, sie war viel allein; man traf sie, stets einsam, im Wald und Feld: sicher häufig gebückt, nach Kräutern und Pilzen suchend; häufig bei Dunkelheit, denn viele Pflanzendrogen mußten nachts gesammelt werden, wenn sie wirken sollten. All dies erzeugte Argwohn.
Die schwierige Position der Hexen war lange vom Volk geachtet, von der Kirche zumindest geduldet worden. Ihre Kenntnisse verliehen ihr Macht über Leben und Tod, Gifttränke verstand sie geradesogut zu mischen wie lebensrettende Medizin - auch im späten Mittelalter, als sie vielleicht >>nur<< noch die alte Quacksalberin und Hebamme war, trug sie also noch die Züge der guten oder bösen Fee. Wenn sie noch dazu wußte, vermöge welcher Kräuter man mit der alten Diana ausfahren konnte, und wenn sie gar das eine oder andere Dorfmädchen zu solcher Fahrt gewann, so mußte, gerade mit zunehmender Macht der Kirche, ihre Position ausgesprochen ambivalenter Natur sein.
Oft war die weise Frau die letzte, meistens sowieso die einzige Hoffnung der Kranken, da Ärzte nur die Reichen sich leisten konnten. Starb aber der Kranke, oder ging überhaupt irgend etwas schief, geriet etwa die Butter nicht oder verendete das neugeborene Kalb: so war die Hexe schuld. Es ist anzunehmen, daß sie mitunter an ihrem komplizierten Image kräftig mitbastelte und für Geld und eine gute Wurst gern auch mal Hagelschlag und Fieber herbeizauberte: man mußte schließlich sehen, wie man sich durchbrachte, und im frühen Mittelalter brachte so etwas auch noch selten Ärger. Die Kirche bestrafte dieses Treiben bis zum Einsetzen der Hexenjagden im 13. Jahrhundert einigermaßen milde als Aberglauben und heidnischer Unfug und eben noch nicht, wie vor allem seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, nach dem Erscheinen des >>Hexenhammer<<, als realen Teufelsbund und Schadenzauber.
(Hatte man im frühen Mittelalter eine Hexe entdeckt, die Schadenzauber betrieb, so schleifte man sich >>nur<< an einen Esel gebunden durch den Ort, schnitt ihr die Haare ab ode goß ihr Pech über den Kopf; Man schlug sie womöglich oder verwies sie des Landes, doch ließ man sie, soweit sie keine Wiederholungstäterin war, meist am Leben. Vgl. Hans Peter Duerr, wie Anm. 20, S. 250.)
Die Bauern grollten zwar, murmelten schützende Formeln und bekreuzigten sich, wenn sie vorbeiging, abe sie zündeten ihr noch nicht das Haus überm Kopf an.
Es wurden einige dicke Bücher geschrieben, um zu erklären, warum man der Hexe und allen, die womöglich eine hätten sein können, an der Schwelle zur Neuzeit so grausamen Kampf ansagte. Die Gründe sind vielfältig und komplizierter Natur. Das Mittelalter starb, vertraute Strukturen lösten sich auf, es gab viel Krankheit, Angst und Tod und wenig sicheren Grund, wenig wohlgefügtes Mauerwerk zum Anhalten. Es herrschte Endzeitstimmung, und man suchte nach Schuldigen.
(Vgl. Will-Erich Peuckert: Die große Wende. Das apokalyptische Saekulum und Luther. Bd. I. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1966. S. 119-130.)
Wichtig für unser Thema ist, daß man sie bevorzugt unter den Frauen suchte und daß man unter denen speziell die Kräuterfrauen und Heilerinnen als Verbreiterinnen des Hexenwesens ausgemacht hatte.
(Vor allem diese Pointierung auf das weibliche Geschlecht wurde durch das ordinäre, frauenfeindliche Mönchsgehetze des Hexenhammer ideologisch vorgegeben. Vgl. Lily Weiser-Aall. wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1841.)
Die Frauen waren im ausgehenden Mittelalter dreist geworden, sie drängten in den Vordergrund. Die Renaissancefrau war selbstbewußt, im Berufsleben zum Beispiel, und züchtig und verschämt war sie auch nicht. Sie dekolletierte sich heftig, ihre Kleider wurden kürzer, so daß die Klosterbrüder in der Andacht gestört wurden. Die Frau hatte, in jenen etwas chaotischen Zeiten, ihre hausfräuliche Haube abgenommen und war sozusagen öffentlich in Erscheinung getreten, >>in den Trinkstuben der Zünfte, auf Festen und Volksbelustigungen jeder Art, auf Märkten und Messen, überall wo es heiß und hoch hergeht<< war sie zu finden und zwar, wie der Historiker anmerkt, nicht eben als Hüterin der guten Sitten: sie haute offenbar auf den Putz.
(Hans Peter Duerr, wie Anm. 20, S. 74.)
Zu alledem lernte sie nicht selten ein Handwerk und wurde gar Zunftmeisterin, manche Berufe durften in jener Zeit nur von Frauen ausgeübt werden. Sie war - zur großen Empörung vieler männlicher Kollegen - Ärztin, auch in den Städten und ganz offiziell: das Hebammenwesen auf dem Lande war, wie von jeher, reine Frauensache und in den Zeiten der Pest, welche die Bevölkerung Europas um die Hälfte dezimiert hatte, in seiner Bedeutung erheblich aufgewertet worden.
(Dargestellt im wesentlichen nach Hans Peter Duerr, wie Anm. 20, S. 72-74; auch S. 263. Duerr bezieht sich hauptsächlich auf K. Bücher: Die Frauenfrage im Mittelalter. Tübingen, 1910.)
Viele Männer, die Mönche zumal und triebschwache, wenig vitale, sahen diese tatkräftige und sexuell herausfordernde Frau mit einem gewissen Unbehagen, das sich schließlich zu panischer, vor allem sexuell sich manifestierenden Angst ausgeweitet haben muß: Angst um die gesellschaftliche Stellung des Mannes und um die Potenz des Hausvaters, um die Allmacht des Papstes und das Ansehen des etwas lächerlich darstehenden geistlichen Standes, der von der Kanzel gegen geschlechtliche Unmoral predigte, dem man andererseits des öfteren Huren in die Klosterzellen schicken mußte, um die Jungfrauen der Städte und Dörfer vor den Unflätereien der Ordensbrüder zu bewahren - sofern diese nicht, wie auch bisweilen bekannt geworden, sündige, unterirdische Verbindungen zum benachbarten Nonnenkloster hergestellt hatten, dessen Insassinnen unter den nämlichen Bedrängungen des Fleisches litten.
(Vgl. Franz Gabriel Alexander und Sheldon Theodore Selesnik, wie Anm. 278, S. 96)
Eigentlicher Urgrund dieser Angst und Verhängnis von Millionen Hexen war der weibliche Schoß. Er sei, so die Mönche, unersättlich, weswegen die Frau den Verführungskünsten des Satan allzuleicht erliege.
(Vgl. Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, wie Anm. 172, 1. Teil, S. 74.)
Das war deutlich.
Das Weib war also gut beraten, seine Sinnlichkeit tunlichst zu verbergen, denn je ausgeprägter jene war - oder dem bemühten Gatten erschien - desto gefährdeter war die Frau, der Hexerei zu verfallen.
Es ist klar, daß unter diesen Umständen nahezu jede Frau vorsichtig sein mußte; unsere herbaria aber hatte von vornherein schlechte Karten, da sie ihers Berufes wegen ein ganz besonderes Verhältnis zu Sexualität und Fruchtbarkeit hatte, zum suspekten Schoß der Frau vor allem: sie brachte die Kinder zur Welt und trieb die Leibesfrucht ab, wenn sie unerwünscht war; sie wußte mittels Zauberei und Kocherei Liebe, respektive Geilheit, zu erzeugen und zu zerstören; sie stellte die Hexensalbe her, mit deren Kraft man des Hauptereignisses der hemmungslosen, verbotenen Sexualität überhaupt teilhaftig wurde, der Blocksbergorgie. All dies war lange bekannt.
Nun aber hieß es, sie ermorde die Neugeborenen und führe Fehlgeburten herbei, um die Kinderleichen beim Hexenbankett zu essen oder zu Hexensalbe zu verarbeiten; sie hexe dem Manne das Glied weg und verschließe die Vagina der Hausfrau; diese und ähnliche, von ebenso kreativer wie angsterfüllter Mönchsphantasie zeugende Vorwürfe fehlten in kaum einem Hexenprozeß.
(>>Was endlich<<, fragen gar die dominikanischen Inquisitoren im Hexenhammer, >>von denjenigen Hexen zu halten sei, welche bisweilen solche Glieder in namhafter Menge, zwanzig bis dreißig Glieder auf einmal, in ein Vogelnest oder einen Schrank einschließen, wo sie sich wie lebende Glieder bewegen, Körner und Futter nehmen, wie es von vielen geschehen ist und allgemein erzählt wird?<< Es habe nämlich ein seines Gemächtes verlustig gegangener Mann eine Hexe um Rat gefragt, wie er seine Männlichkeit wiedererlangen könne; jene habe ihn geheißen, auf einen Baum zu steigen, und sich aus einem dort befindlichen Neste ein Glied, welches ihm zusagte, zu nehmen. >>Als er ein großes nehmen wollte, sagte die Hexe: "Nein, nimm das nicht"; und fügte hinzu, es gehöre einem Weltgeistlichen.<< Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, wie Anm. 172, 2. Teil, S. 59.)
Alle Hexen, so hieß es, seien zwar auf diesem Gebiet tätig; doch die Hexen-Hebamme saß eben an der richtigen Stelle, in der sexualpsychologischen Praxis nämlich und am Bett der Kreißenden, was der Unglücklichen den zweifelhaften Vorzug eines eigens ihr gewidmeten Kapitels im >>Hexenhammer<< eintrug: Jede Frau, so ließ die Kirche verbreiten, die kurieren wolle ohne studiert zu haben, sei als Hexe zu verbrennen, und Sperger und Institoris schrieben, reuige Hexen hätten oft gestanden, >>daß niemand dem katholischen Glauben mehr Schaden zufügt als die Hebammen; auch wenn sie die Kinder nicht töten, so schaffen sie sie doch aus dem Zimmer ins Freie und heben sie in die Luft, um sie dem Teufel darzubieten.<<
(Vgl. Jules Michelet: Die Hexe. München: Rogner & Bernhard, 1974. S. 27. Hier leistete der Heilige Stuhl offenbar auch der offiziösen, männlichen Ärzteschaft, welche sich durch die weibliche Konkurrenz bedroht sah, massive Schützenhilfe. Nun konnte man ja unmöglich alle Hebammen totschlagen, man brauchte sie schließlich. Damit blieben, trotz der Massenmorde in der Zeit der Hexenverfolgungen, die Frauen im Gesundheitswesen doch stets präsent. Daneben waren die Frauenklöster häufig Refugien ärzlicher Gelehrsamkeit, aus denen einige ganz unhexische Kenntnisse wiederum ins Volk gelangten. So hatte noch 1677 ein Dr. Bitterkraut Anlaß, sich über das nicht unterzukriegende Hebammenwesen zu beklagen: >>Es will aber zu allem Überfluß so gar das weibliche Geschlecht in bedeuteter Arzney-Kunst sich unterfange.<< Alte Betschwestern [was in die Klöster weist, der Verf.], versoffene Kinds-Ammen, greinsüchtige Mütterlein, Wettermacherinnen und Besprecherinnen, auch junge Plaudermetzen und Nachtreiterinnen, schmutzige Kuchel-Ratzen und Unter-Mädchen, so klagt Bitterkraut, maßten sich an, ohne die nötige Vorbildung, die >>Artzeney-Kunst<< zu ihrem Beruf zu machen, woran doch ein gelehrter Mann viel Zeit, Mühe und Arbeit habe aufwenden müssen. >>Ja, es kommt nun mehr so weit, daß allerley Mischmasch den einfältigen Leuten um ein ungleich höheren Wehrt, als eine rechtschaffene Artzeney aus den Apotheken verkaufen. So ist auch unglaublich und zu beschreiben unmöglich, was solche Klüglinge mit selbsten [den Heilkräutern nämlich, der Verf.] anfangen und spielen; wodurch sie dann manche kranke Person, deren Zustände sie nicht einmal erkennen, in die äußerste Lebens-Gefahr stürzen, und sodann erst einem wohlerfahrenen Doktoren die Hände voll zu tun geben, welche das jenige, so sie frevelhafter Weise verderbet, wieder gut machen sollen.<< Zitiert nach Gerd und Marlene Haerkötter, wie Anm. 210, S. 20.
Jakob Sprenger und Heinrich Insitoris, wie Anm. 172, 1, Teil, S. 111. Die Nichte einer solchen Hexen-Hebamme gestand, sie sei einmal von ihrer Tante gräßlich verprügelt worden, als sie ihr zu tief in die Töpfe geschaut und darin eine Anzahl Kinderköpfe gefunden habe. (Ebenda, 2. Teil, S. 21)
Es war demnach nicht notwendig, die weise Frau eines konkreten Vergehens zu bezichtigen: allein, daß sie in der Sphäre von Sexualität und Fruchtbarkeit arbeitete, daß sie mit Magie dort arbeitete, daß sie oft mit giftige Kräutern hantierte und unverständlichen Zauber trieb: daß sie been die weise Frau war, galt als Beweis ihrer Schuld. Von nun an konnte sie tun, was sie wollte, Gutes oder Böses - sie war als erste im Visier der Hexenbrenner:
>>Denn das müssen wir immer im Gedächtnis halten, daß wir unter Hexen nicht nur jene verstehen, die töten und quälen, sondern alle Wahrsager, Zauberer, Gaukler, alle Magier, die gemeinhin weise Männer und weise Frauen genannt werden [...] und dazu rechnen wir alle guten Hexen, die nicht schaden, sondern Gutes tun, die nicht verderben, sondern retten und bewahren [...] Es wäre tausendmal besser um dieses Land bestellt, wenn alle Hexen, besonders aber die wohltätigen Hexen den Tod erlitten.<<
(Zitiert nach Barbara Ehrenreich und Deidre English: Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. München: Verlag Frauenoffensive, 1975, S. 17 f.)
Im allgemeinen leugnete man aber, daß es wohltätige Hexen gebe: es konnte sie nicht geben, da der Teufelspakt, den seit dem Erscheinen des >>Hexenhammer<< jede Hexe abgeschlossen hättte, die Bösartigkeit und Gefährlichkeit der Hexe notwendig bedingte. Es war vor allem jener Glaube an eine allgemeine Verschwörung der Hexen mit dem Leibhaftigen gegen Gott und die Menschen, der den Haß des Volkes gegen seine Feen und Waldfrauen so furchtbar werden ließ: die Christenheit wähnte sich in Notwehr, als sie überall die Scheiterhaufen entzündete.
(Vgl. Will-Erich Peucker, wie Anm. 283, S. 126-130.)
Der Inhalt dieses Teufelspaktes und das darauf beruhende, verbrecherische Treiben der Bündnerinnen wurde in öder Monotonie bei tausenden von Hexenprozessen nahezu gleichlautend vorgetragen: Kindermord und Kannibalismus gehörten stets dazu.
Von jeher war das Verspeisen von Menschen im allgemeinen und von kleinen Kindern im besonderen der beliebteste Vorwurf der Kirche gegen Ketzer und Heiden, vorzüglich, wo sie in Gemeinden, als Volk, Bund oder Sekte auftraten. Eine besondere Pointe liegt darin, daß die ersten Opfer dieser Verleumdung die urchristlichen Gemeinden selbst waren - bei jedem Christengottesdienst, so verbreiteten die römischen Tempelpriester, werde ein Kind abgestochen und gemeinsam verspeist, sein Blut werde von den Gläubigen aufgeleckt.
(Vgl. Karl Kiesewetter, wie Anm. 40, S. 457 f.)
Die Christengemeinschaft fand die Anschuldigung so ungeheuerlich, daß sie später damit gegen ihre eigenen Renegaten loszog, gegen Manichäer, Katharer, Albigenser und Waldenser - aus diesen Sekten rekrutierten sich dann auch die ersten Hexen, die von der heiligen Inquisition im 13. Jahrhundert in Frankreich aufgespürt und in den Flammentod geschickt wurden.
(Karl Kiesewetter, wie Anm. 40. S. 457 f.)
Der Kannibalismusvorwurf war also eine Art Joker des Heiligen Stuhls, der immer dann herovrgezogen wurde, wenn es galt, das Volk von einer Gefahr, die von irgendwelchem Verein oder irgendwelchem eingebildeten Verein für die christliche Menschheit ausging, recht drastisch zu überzeugen. Dies gilt es auch da zu beachten, wo man liest, bei den Germanen habe es die menschenfressende Hexe gegeben: es deutet einges darauf hin, sie sei den heidnischen Sachsen von fränkischen Missionaren untergeschoben worden.
(Vgl. Lily Weiser-Aall, wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1832 f.
Vlg. Gero Zenker: Germanischer Volksglaube in fränkischen Missionsberichten. Stuttgart, Berlin: Truckenmüller, 1939, S. 20 ff.)
Ich behandle diesen Punkt so ausführlich, um zu zeigen, daß die Hexe, die uns im KHM 15 von den Brüdern Grimm respektive Dortchen Wild vorgestellt wird, weder eine Erfindung zum Erschrecken biedermeierlicher Kinder ist, noch mit der Wirklichkeit der Hexe oder mit ursprünglichem, volkstümlichen Vorstellungen von ihr etwas zu schaffen hat; sie ist die kirchliche Verzerrung der Feen, die in drei Jahrhunderten Hexenwahn und Hexenverbrennung im Volk und ihm Volksmärchen Fuß gefaßt hat - sie verkörpert den, wie Lily Wieser-Aall es ausdrückte, theologischen Hexenbegriff.
(Vgl. Lily Weiser-Aall, wie Anm. 277, Bd. III, Sp. 1828.)
Es ist dazu unerheblich, ob womöglih alleinstehende, hungrige, alte Frauen in schlechten Zeiten bisweilen einen Knaben sich grillten; dies geschah immer mal wieder, wenn das Fleisch knapp war. Gern will ich auch glauben, es habe garstige Hebammen gegeben, die neugeborene, ungetaufte Kinder erwürgten, kochten und aufaßen, wohl auch deren Einzelteile zur Wahrsagerei und zu bedenklichen Zauberkunststückchen verwendeten, doch ist dies nicht das gewöhnliche Geschäft der Hexen gewesen. Die mordende, menschfressende Hexe ist eine Erfindung der katholischen Kirche, die fester Bestandteil der volkstümlichen Märchenkunst geworden ist.
(Vgl. Robert Edward Lee Masters, wie Anm. 35, S. 127 ff.)"