Hallo erbus31,
Ist Menschenwürde immernoch ein Wert? Viellicht ein Wert den sich Menschen selbst auferlegt haben. Aber war diese Entscheidung die Richtige?Wie denkt also Capra über die Menschenwürde?
Wie bereits erwähnt ist Würde gleichbedeutend mit Wert. Und Werte sind eine Frage des Willens, der Willensentscheidung. Der Wille des Menschen ist individuell, nicht kollektiv. Keine Wertentscheidung läßt sich rational erklären. Solche Entscheidungen lassen sich auf keinen Grund zurückführen, der sie erklären könnte. Denn eine Wertentscheidung, unabhängig davon, ob es sich um einen ethischen, politischen, religiösen oder ästhetischen Wert handelt, kann man nicht rational begründen. Sie rühren daher, dass der Mensch einen Wert in ihnen sieht.
Die selbst-erschaffenen Überzeugungen, die eine Wertvorstellung repräsentieren, sind abhängig von den jeweiligen sozialen Strukturen, die die Menschen im Laufe ihres Daseins für ein Zusammenleben vereinbart haben. Sie sind nichts Festes und Unveränderliches. Daraus könnte man voreilig schließen, dass es keinen universellen Wert gibt, der für jeden Menschen anstrebenswert wäre. Doch das sehe ich anders.
Denn der höchste anzustrebende Wert für einen Menschen ist, sich Absichten und damit Überzeugungen zu erschaffen, die zu keinem sich selbst oder andere schädigenden Verhalten führen. Nur diese Wertvorstellung führt zur Erweiterung von Liebe, Verständnis und gegenseitige Hilfsbereitschaft, und damit zu einer Weiterentwicklung des Menschen. Nur wenn dieses Wertvorstellung als Menschenwürde verstanden wird, ist sie hilfreich.
Doch die Realität ist eine andere.
Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne noch etwas Grundsätzliches über Wille und Wert sagen:
Der Mensch, das Individuum, das sich in irgendeiner Situation befindet, ganz egal in welcher, ist niemals gezwungen, etwas Bestimmtes zu tun. Er könnte ebensogut etwa ganz anderes tun. Anders gesagt: Für den Menschen gibt es kein Muß, wenn vom Menschen als Menschen die Rede ist. Für den Menschen als physiologischen Organismus gilt das nicht. Jeder Mensch muß urinieren. So wie jeder Stein in einem Gravitationsfeld fallen muß. Wenn wir aber vom Menschen als Menschen und nicht als Organismus sprechen, dann muß der Mensch überhaupt nichts.
Warum tut ein Mensch in einer bestimmten Situation, ich meine einen bestimmten Menschen, nicht den Menschen im allgemeinen, warum tut er in einer Situation etwas, wenn er doch genausogut etwas ganz anderes tun könnte? Weil er etwas Bestimmtes tun will, nicht weil er muß.
Der Mensch tut nur etwas, wenn er ein bestimmtes Interesse verfolgt. Und wann sprechen wir von einer Wertentscheidung? Wenn jemand bereit ist, für etwas einen Preis zu zahlen. Wenn ein Mensch bereit ist, zu sterben, um etwas zu verteidigen, was für ihn einen Wert darstellt, dann muß er gegen denjenigen kämpfen, der diesen Wert ablehnt, der ihm etwas wegnehmen will, was für ihn der Sinn des Lebens ist. Ganz egal, ob jemand einem fremden oder dem eigenen Volk angehört. Daher kann man mit jemandem, der einen Wert ablehnt, nicht diskutieren.
Wert hängt mit Kampf zusammen. Er ist wesentlicher Bestandteil des Kampfes. Das, wofür man nicht zu kämpfen braucht, sei es gegen äußeren Faktoren oder gegen sich selbst, stellt keinen Wert dar.
Denn ein Wert ist nicht das, was es gibt, sondern das, was es geben sollte.
Werner