Sorry, ich habe bei dir, nein, das Wort "keine" für "eine" gelesen. Ich konnte leider nicht mehr editieren. Der Absatz dahingehend ist also zu streichen.
Vielleicht könnten einige weitere Passagen aus meiner kleinen Pflanzenbibliothek für euch interessant sein. Zumindest lesen sie sich, meinem Empfinden nach, recht amüsant...
"Eine Prinzessin, >>mutterselig allein<< im Wald ausgesetzt, findet, nachdem sie einen ganzen Tag >>über die spitzen Steine und durch die Dornen<< umhergeirrt ist, gegen Abend endlich zu einem Haus. Darin aber ist alles seltsam klein, so klein, daß der gesamte Hausrat im Diminutiv erscheint: Löffelchen, Becherlein, Tellerlein und Bettlein - alles scheint dem müden, hungrigen Mädchen viel zu winzig.
Und doch ist alles wirklich und brauchbar. Sie ißt und trinkt mit Hilfe des Puppengeschirrs, und endlich schläft sie gar in einem der Betten, von denen erst mal keines zu passen schien; eins, so wird erzählt, sei zu kurz gewesen, ein anderes zu lang, das siebente: das war dann endlich recht.
Als die Bewohner der zierlichen Herberge von ihrer Arbeit in einer Erzgrube nach Hause kommen, da passen sie besser hinein als das verirrte Mädchen: es sind Zwerge, sieben an der Zahl.
Der seltsamen Dinge geschehn noch mehr: Das Mädchen ißt von einem vergiftetem Apfel, den seine eifersüchtige Stiefmutter ihm bereitet hat und fällt wie tot zur Erde; doch behält es das Aussehen einer Lebenden, bleibt frisch und rotwangig. Liegt >>lange, lange Zeit<< in seinem Sarg, >>als wenn es schliefe<<, und verwest nicht: Wie geht das zu?
(Jacob und Wilhelm Grimm: Sneewittchen, wie Anm. 1, Bd. I, S. 276.)
Eine andere Königstochter fällt gar, gleichfalls vergiftet, mitsamt ihren Angehörigen und Bediensteten in einem hundertjährigen Schlaf; daß es kein ewiger Schlaf wurde, hat sie einer guten Fee zu verdanken, die auf der Hut war und das Schlimmste verhindern konnte.
(Jacom und Wilhelm Grimm, Dornröschen, wie Anm. 1, Bd. I, S. 257-260.)
Beide Langschläferinnen werden schließlich von jungen Prinzen erweckt und fallen sofort der Liebe zu ihnen anheim, einer so brennenden Liebe, daß sie sich unverzüglich mit ihren Rettern vermählen; in anderen Überlieferungen gebiert gar eines der Mädchen, noch im Zauberschlaf befangen, zwei Kinder: Wie ist das möglich?
(Giambattista Basile: Sonne, Mond und Thalia. In: Ders.: Das Märchen aller Märchen. Der Pentamerone. 5 Bände. Frankfurt a.M. Insel Verlag, 1982. Bd. V, S. 55-63.)
Oder: Ein hungriger Mann, soeben mit den Wolken aus dem >>wilden Gebirg<< zu Tal gesegelt, ißt von einem Salat, durch dessen Kraft er augenblicklich in einen Esel verwandelt wird.
(Jacob und Wilhelm Grimm: Der Krautesel, wie Anm. 1, Bd. II, S. 175.)
Einem abgedankten Soldaten wächst durch den Genuß eines Apfels die Nase ganze sechzig Meilen lang. Vermöge eines Pulvers aus den Zauberäpfeln löst er gar bei einer Prinzessin, welche ihn betrogen hat, das nämliche Nasenwachstum aus - doch hat er auch ein Antidot, die peinliche Hypertrophie wieder rückgängig zu machen. Wie kann das sein?
(Jacob und Wilhelm Grimm: Anmerkungen zu den einzelnen Märchen, wie Anm. 1, Bd. III, S. 215 f.)
Wenn uns derlei in den Märchen der Brüder Grimm begegnet, pflegen wir es nicht zu hinterfragen, nehme es als typisch märchenhafte, also erfundene Begebenheit. Kaum ein Märchenleser wird erwägen, ob es wohl tatsächlich Salatsorten, Beeren oder Äpfel gebe, die derlei Veränderungen bewirken könnten.
Es gibt sie aber, und viele wunderbare Ereignisse und Erscheinungen unserer Volksmärchen finden in ihre Erklärung in der Chemie dieser Zauberpflanzen. Zwerge und Riesen sind in ihren Blättern verborgen, langer Schlaf und lange Nasen - aber auch der Tod samt Sense und Stundenglas. Am Wegrand wuchs das Kraut, das glauben macht, man sei in einen Esel oder eine Gans verwandelt, und im Gesträuch vorm Dorf, wo die Fahrenden gelagert hatten, gab es Büsche mit hartschaligen Äpfeln: wer die aß, wurde ganz damisch und mochte sich durchaus einbilden, er flöge in den Wolken davon - oder irgend etwas sei wohl an die sechzig Meilen verlängert.
Wenn bei den Siebenbürgischen Sachsen ein Mensch besonders töricht daherredet oder sich närrisch aufführt, so sagen die Leute: >>E huet Burchert gesofen.<<
(Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Hrsg. vom Ausschuß des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde. Bearbeitet von Adolf Schullerus. Bd. I. Berlin: de Gruyter, 1924. S. 817.)
Was ist Burchert? Ist der klare, starke Pflaumenschnaps gemeint, den man in Transsilvanien so trefflich zu brennen versteht? Oder der unvermeidliche, selbstverstochene Tischwein, welchem, obzwar er deutlich dilettantischer bereitet wird als der Schnaps, dortzulande so leicht keiner entgeht? Nichts dergleichen: Burchert ist der Saft der giftigen, sinnverwirrenden Tollkirsche, Atropa Belladonna - und es war, in Erwägung des zitierten, geflügelten Wortes, offenbar nicht ganz unüblich, davon zu trinken.
(Vgl. Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch, wie Anm. 6, S. 817.)
Nun ist Südosteuropa in vieler Beziehung eine Art volkskundliche Konserve, in der man bis heute Relikte von Brauchtum auffindet, das im Mittel- und Westeuropa gleichfalls existierte, dort aber längst verschüttet ist: Burchertsauferei ist keine Marotte der Bauern im Karpatenbogen, sondern wurde allenthalben betrieben. Man setzte den Tollkirschsaft dem Bier zu, man färbte damit den Wein; man verwandte die Kirschen als Aphrodisiacum und Schlafmittel, mit der Wurzel, in Wein gekocht, wurden Gicht und Zahnschmerz bekämpft.
Halluzinationen, tagelange Verwirrung mit vollkommener Verkennung der Umgebung, oder auch tagelanger Schlaf: So berauscht Burchert, und ohne derlei Nebenwirkungen war eine Zahnbehandlung, war ein Liebestrank von Belladonna nicht zu haben. Die man so traktiert, die schreien und toben, weil sie vor eingebildeten Raubtieren Angst haben, sie glauben, im Nebel durch Raum und Zeit zu fliegen; flattern wie Eulen und schreien wie Esel, dünken sich allmächtig, glauben, sie seien riesengroß oder zwergenhaft klein; oder sie liegen tagelang besinnungslos im Winkel, daß man denken muß, sie kämen nie wieder auf.
Wie muß das Landvolk mitunter deliriert haben! Zentnerweise, so wird noch 1908 berichtet, sammelten die Slowaken in Kahlschlägen die Wurzeln und Blätter der Tollkirsche, um den Branntwein zu verstärken.
(Vgl. Oskar von Hovorka und Adolf Kronfeld: Vergleichende Volksmedizin. Eine Darstellung volksmedizinischer Sitten und Gebräuche, Anschauungen und Heilfaktoren, des Aberglaubens und der Zaubermedizin. 2 Bände. Stuttgart: Stecker & Schröder, 1908-09. Hier: Bd. I, S. 422.)
Anderorts nahm man Bilsenkraut, Stechapfel oder Krainer Tollkraut - all diese Drogen aus der Familie der Nachtschattengewächse sind der Tollkirsche verwandt und wirken, im Bier oder pur, in ähnlicher WEise:
Karl, ein junger Amerikaner, bereitete sich irgendwo in den Wäldern Südkaliforniens ein Getränk aus dem Stechapfel und trank es in großer Menge. Bald darauf erkrankte er mit Fieber, Umtriebigkeit und Erregung, Ataxie, Schwitzen. Er trank unmäßig Wasser, brach öfters zusammen, erhob sich wieder, um weiter ruhelos umherzuwandern. Er verirrte sich und rannte stundenlang barfuß im Wald herum, verletzte sich in Brennesseln und kratzigem Gesträuch. Dabei unterlag er furchtbaren Halluzinationen von Dämonen, Teufeln und Voodoo-Leuten, die ihn verfolgten: Die Voodoo-Leute waren imstande, Menschen in Bäume zu verwandeln - Karl erfuhr dies, als er sich mit den Opfern unterhielt. Bestrebt, die Zauberer abzuwehren, legte Karl mehrere Waldbrände, bis er schließlich von einem Jagdaufseher aufgegriffen und ins Krankenhaus gebracht wurde: Es dauerte mehrere Tage, bis der Vergiftete wieder klar war.
(Vgl. Ronald K. Siegel: Herbal Intoxication. Psychoactive Effects from Herbal Cigarettes, Tea and Capsules. In: Journal of the American Medical Association 236/1976, S. 473-476, hier S. 475.)
Es ist unschwer zu bemerken, daß Karl ein Märchen erlebte. All seine Drogenvisionen: die Verfolgung durch dunkle, hexische Unholde und böse Geister, die Verwandlungsideen, die Flucht, bei der findige Maßnahmen ersonnen werden müssen, die düsteren Mächte aufzuhalten - all dies sind Kernmotive des Volksmärchens in aller Welt."