Quote
er Bibel-Geheimcode
von Lars A. Fischinger
Seit Jahrhunderten bewerten gläubige und ungläubige Menschen die Bibel auf höchst unterschiedliche Weise. Für die einen ist sie das wahre Buch der Erlösung, während es für die anderen ein mythisches Buch voller Rätsel und Geheimnisse ist. Überzeugte Juden wie Christen sehen im Buch der Bücher die Offenbarung Gottes und weise, göttliche Worte von fundamentaler Bedeutung. Doch seit langer Zeit versuchen Menschen auch, in der Bibel mehr zu sehen als ein Buch, dass die Geschichte des Volkes Israel und das Leben Jesus erzählt.
Sie wollen mehr in ihr erkennen, als es der gemeine Leser zu erkennen vermag. Dabei bedient man sich nicht nur immer neuer Auslegungen der biblischen Texte, die im Laufe der langen Geschichte des Buches immer wieder geändert und dem aktuellen religiösen Weltanschauungen angepasst wurden, sondern man versucht auch, dem heiligen Text eine versteckte Botschaft zu entlocken.
Diese Menschen sprechen von einem "Code", von einer verborgenen Botschaft, die sich quasi zwischen den Zeilen findet - ein höchst umstrittenes und sehr zweifelhaftes Thema. In der Tat jedoch wird auch von der religiösen Bibelexegese keineswegs bestritten, dass es "mystische Zahlenspielereien" in der Bibel gibt.
Die hebräische Sprache eignet sich aufgrund einiger ihrer Eigenarten in besonderer Weise dafür. Bekannt ist vor allem die heilige Zahl 40, die sich immer wieder im Alten Testament findet. Auch im 2. Buch Moses, dem Buch Exodus, das den Auszug der Israeliten aus Ägypten schildert, findet sich eine solche "versteckte Botschaft".
So heißt es in Exodus 12,37-38, dass beim Auszug aus Ägypten 600.000 Mann plus Kinder und "ein großer Haufen anderer Leute" das Land Ägypten verließen - eine von Historikern wie auch Theologen als unmöglich angesehene Anzahl von Menschen.
Jedoch finden wir im Buch Numeri (1,46) die Angabe, dass exakt 603.350 Personen das Land der Pyramiden unter Moses Führung verließen. Und genau hier kann eine solche "Zahlenspielerei" vorliegen, denn nehmen wir (von 603.551 ausgehend) für jede einzelne Zahl den entsprechenden Buchstaben des hebräischen Alphabets (a = 1, b = 2 et cetera / j = 10, k = 20 et cetera / kh = 100, r = 200 et cetera) und übertragen dies auf die Zahlenangabe, so erhalten wir als Übersetzung "Die Summe aller Söhne Israels" als Übersetzung.
"Clinton" im Alten Testament
Neben solchen fraglos in der Bibel existierenden "Botschaften" vermuten einige Theologen und andere Bibelinteressierte, dass im Buch der Bücher noch mehr verborgen liegt. Sie sprechen von einem geheimen Code und scheuen sich dabei nicht, diesen Code dahingehend zu deuten, dass er Prophezeiungen für die Zukunft enthält. Diese Zahlenakrobatik wird seit vielen Jahren immer wieder thematisiert. In den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts nannte man diese Methode "Bible Numerics". Sie wurde damals vor allem durch Ivan Panin und das Buch "Erstaunliche neue Entdeckungen" von K.A. Sabiers bekannt.
Die allermeisten Menschen, die einen vermeintlich vorhandenen "Code" in der Bibel suchen, nutzen den Text der fünf Bücher Moses, die so genannte Thora. Die hebräische Thora, die in den Heiligtümern der Juden als eine einzige Pergamentrolle vorhanden ist, umfasst dabei exakt 304.805 Buchstaben. Schon der Rabbi Weissmandel hat vor Jahrzehnten in der Thora Sätze und Wörter gefunden, die in regelmäßigen Abständen wiederkehren - eine rein mathematische "Botschaft" also.
Der orthodoxe Jude Elilahu Rips und seine Kollegen Doron Witzberg und Joav Rosenberg führten die Ideen des Rabbi Weissmandel weiter. Auch sie fanden durch Computeranalysen des Textes der Thora auffällige Regelmäßigkeiten. Sie sind von einer "geheimen Botschaft" in den Schriften überzeugt.
Das gesamte Thema Bibelcode und versteckte Botschaften wurde aber erst 1997 durch das Buch Der Bibel Code des US-Journalisten Michael Drosnin berühmt. So behauptet Drosnin in seinem Bestseller, dass er einen Code in der Thora gefunden habe, mit dem sich versteckte Informationen im heiligen Text finden lassen. Er geht sogar so weit, zu behaupten, auch der Weltuntergang würde dort codiert zu finden sein. Michael Drosnin behauptet in seinem Buch, er habe den Nachweis erbracht, dass die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin durch Jigal Amir, die Herrschaft der Nazis, Worte wie "Clinton" oder "Holocaust" und viele andere Dinge mehr mit Hilfe seines Codes im Alten Testament zu finden sind.
Zweifelhafte Methoden
Doch die Methoden Drosnins sind mehr als zweifelhaft. Auch Drosnin nimmt den Text der hebräischen Thora und lässt die Zwischenräume zwischen den Wörtern weg, um einen durchgehenden Buchstabenblock zu generieren. Darin will er nun "Botschaften" gefunden haben, indem bestimmte Wörter auftauchen, in deren Nähe sich dann wieder Wörter befinden, die damit im Zusammenhang stehen sollen. Die Wörter selber können dabei von links nach rechts, quer oder von oben nach unten stehen – wie es einem gefällt.
Mit dieser Methode kann man sogar die Ermordung des früheren britischen Premierministers Winston Churchill (1874 – 1965) aus der Thora herauslesen - mit dem Haken, dass dieser Mord nie stattfand - ebenso wenig wie ein Atomangriff am 6. Mai 1996 auf Israel durch Libyen. Seit einigen Jahren kann man sogar Software im Internet bekommen, um daheim die Bibel nach codierten Daten persönlich zu durchleuchten.
Der Physiker Dave Thomas fand auf die gleiche Art und Weise, die Drosnin für seinen nur auf die Bibel anwendbaren Code benutzt, im Buch "Krieg und Frieden" von Tolstois Worte wie Nazi, Hitler und sogar "Guilty Lee Oswald shot Kennedy, both died" (der Schuldige Lee Oswald erschoss Kennedy, beide starben).
Geheimcode auch in "Moby Dick"
Als Michael Drosnin in einem Interview sagte, dass seine Kritiker doch einmal versuchen würden, in Herman Melvilles Weltklassiker "Moby Dick" eine Botschaft mit seinem angeblichen Code zu finden, machte sich der australische Mathematiker Brendan McKay an die Arbeit. Er nahm sich die englischsprachige Originalausgabe von "Moby Dick" und konnte mit der Methode Drosnins Mordanschläge auf Personen wie Martin Luther King, Indira Gandhi, Leo Trotzkij und andere "vorhersagen". Selbst den tödlichen Unfall von Lady Diana fand er passend "codiert". Und selbst der Name Michael Drosnin fand sich im "Moby Dick-Code" – nahe des Wortes "liar", Lügner. Dabei ist zu bedenken, dass die englische Sprache wesentlich schwerer zu "entschlüsseln" ist als das Hebräische mit seiner reinen Konsonantenschrift.
Das oft und gerne übergangene Problem beim ohnehin zweifelhaften Bibelcode von Michael Drosnin ist die fundamentale Frage, welchen "Urtext" der Bibel man verwenden muss. Denn entgegen allen Behauptungen existiert kein Urtext der Bibel oder auch nur der Thora. Ja, nicht einmal eine einheitliche Bibel gibt es heute in den Weltreligionen.
Vor allem durch die Funde der heiligen Schriften in den Höhlen von Qumran weiß man heute mehr denn je, dass die Thora immer wieder abgeändert wurde. Denn dort entdeckte Schriften oder Fragmente der fünf Bücher Moses unterscheiden sich von der heutigen Bibel. Carsten-Peter Thiele vom "Institut für wissenschaftstheoretische Grundlagenforschung" in Paderborn weist in seinem Buch Bibelcode und Bibelwort ebenfalls darauf hin, dass die Schriften von Qumran im Vergleich zum von Drosnin verwendeten Text zahllose Abweichungen enthalten - nicht von der Aussage, wohl aber von der Wortwahl her. Und die Qumran-Texte sind mindestens 1.300 Jahre älter.
Auch ist es nicht selten, dass die verschiedenen, als "Urtexte" bezeichneten Schriften zehntausende Abweichungen und Abschreibfehler beinhalten. Und die Tatsache, dass die fünf Bücher Moses niemals von Moses selbst geschrieben wurden, sondern über viele Jahrhunderte hinweg aus wahrscheinlich vier Quellen zusammengefasst wurden, macht das Thema Bibelcode auch nicht glaubwürdiger.
Man sollte sich eher der Meinung von Joachim Lange von der Deutschen Bibelgesellschaft anschließen, der in der Fachzeitschrift "Bibelreport" den Code der Bibel mit gekonntem Bleigießen und Kaffeesatzlesen verglich.
Quelle:
http://www.freenet.de/freenet/wissenschaft/mensch/philosophie/bibelcode/04.html