Russlands nächster Versuch
Als das Sojus-System 1967 in Dienst gestellt wurde ahnte niemand, dass es nach 40 Jahren noch immer in Betrieb sein wird. Auch ahnte niemand, dass das einst im Wettlauf mit den USA entwickelte System zum internationalen Rückgrat der bemannten Raumfahrt werden würde. Beides ist mittlerweile eingetroffen, und die wichtige Rolle dieser vergleichsweise kleinen Raumkapsel wird mit dem Ausscheiden des Space Shuttles weiter an bedeutung zunehmen. Völlig Kritiklos ist es allerdings nicht. "Das System ist zu klein, zu leistungsschwach und verbrauche zuviele Ressourcen", so lautet die immerwiederkehrende Stimmen auch aus den Reihen der Entwickler und Produzenten. Zwar wird das System auch den 50. Geburtstag noch erleben und darf, sollten sich die Pläne realisieren lassen, demnächst auch mit zahlungskräftigen Touristen auf eine Reise zum Mond starten (ohne auf diesem zu landen), doch moderne Nachfolgeprogramme bestimmen in regelmäßigen Abständen die strategischen Planungen der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos. Dabei geht es nicht mehr um Modifikationen des bestehenden Systems, so wie es die Chinesen beispielsweise mit ihren Shenzhou-Raumschiffen gemacht haben, sondern um neuentwickelte Systeme mit genug Potenzial für eine weitere Entwicklung. Galt kurz nach der Jahrtausendwende mit dem Klipper-Projekt noch ein flugzeugähnliches System als Favorit, wechselte man bereits 2005 zu einem klassischen Kapseldesign. Dieses CSTS (Crew Space Transportation System) sollte zusammen mit der ESA entwickelt werden und somit als internationales Projekt die bemannte Zukunft von Russland in Europa sichern. Unklarheiten bei der Finanzierung und Aufgabenverteilung führten schließlich zum Bruch Anfang 2009. Seitdem ist es still geworden um die russische Raumfahrt. Und eigentlich sollte dies bis zur Präsentation des neuen bemannten Systems auch so bleiben. Doch weder der Entwickler der Raumkapsel, RKK Energija, noch das Entwicklerteam der neuen Rakete, ZSKB Progress, hielten sich an die gemeinsame Geheimhaltungsvereinbarung und ließen immer wieder Informationen über das neue Rus-System an die Öffentlichkeit dringen. Die Rakete mit variablen Nutzlasten im Bereich von 20 bis 160 Tonnen erreicht eine ähnliche Größenordnung wie die amerikanische Ares-Raketenfamilie und soll neben dem Start der bemannten Raumkapsel auch große Satelliten und ganze Raumstationen in den Orbit befördern. So werden schon konkrete Pläne für ein Weltraumhotel untersucht, das anders als die Internationale Raumstation ISS innerhalb weniger Monate nach dem ersten Start einsatzbereit wäre. Die neu zu entwickelnde Raumkapsel ist mit einem Gesamtgewicht von 23 Tonnen und einem maximalen Durchmesser von 4,4 Meter kleiner als das Orion-Raumschiff und bietet maximal sechs Personen platz. Dabei werden verschiedene Versionen entwickelt, die von maximal 14 Tage autonomen Flug mit sechs Personen in der Erdumlaufbahn bis zu 30 Tagen autonomen Flug mit vier Personen auch außerhalb der Umlaufbahn der Erde reichen sollen. Zudem besteht die Möglichkeit, das Volumen durch Kopplung mit weiteren Modulen zu erhöhen und durch eine modifizierte Serviceeinheit die Reichweite zu steigern. So sollen auch Flüge zum Mars ohne Landung auf dem Roten Planeten möglich werden. Für diese müsste ein entsprechendes Landemodul konstruiert werden. Das besonders an diesem bisher nur als Rus-Raumkapsel bezeichneten Systems ist die Landetechnik auf der Erde. Anders als bei bisherigen Landekapseln kommen keine Bremsfallschirme zum Einsatz. Vielmehr dienen Bremsraketen der Geschwindigkeitsreduktion und der weichen Landung auf dem Erdboden. So sollen für später zu entwickelnde Landemodule für den Mond oder andere Planeten eine einfachere Grundlage geboten werden.
Während sich die technischen Einzelheiten durchaus realistisch anhören, zeigen die Terminplanungen allerdings einen Mangel an Realität. So soll bereits 2015 die erste Trägerrakete Rus-M von dem neuen Raketenbahnhof Wostotschny zu Testflügen starten. Die erste Raumkapsel wird ihren Flug noch unbemannt spätestens 2017 antreten, der erste bemannte Flug ist für 2019 angesetzt. Betrachtet man die bisherigen Programme im russischen Raumfahrtprogramm, und da besonders die durch Zahlungsschwierigkeiten aufgetretenen Verzögerungen, so ist klar, dass die Entwicklung eines komplett neuen Systems innerhalb einer Dekade als Wunschdenken angesehen werden muss. Zumal mit dem Sojus-System, anders als bei den Amerikanern, weiterhin ein erprobtes und solides Raumfahrzeug zur Verfügung steht.