Genau ein Jahr ist es her, da traten die ersten Flugverbote für die 737-MAX-Familie in Kraft, und seitdem ist eine Menge passiert. Ging Boeing ursprünglich davon aus, dass sich das Problem mit Software-Updates beheben lässt und die Maschinen im Herbst 2019 wieder fliegen dürften, ist eine Aufhebung aktuell noch nicht absehbar.
Im Verlauf des letzten Jahres hatte Boeing alles versucht, um die notwendigen Anpassungen an den Maschinen so gering wie möglich zu halten. Ziel war es, das bestehende Type-Rating der bisherigen 737-Familie aufrecht erhalten zu können, um so aufwändige (und kostenintensive) Umschulungen der Piloten verhindern zu können, da dies als einer der Hauptverkaufsargumente für den neuen Typ galt. Dem hat inzwischen die FAA (die selbst in der Kritik steht, weil man sicherheitsrelevante Prüfungen nicht selbst durchgeführt, sondern dem Hersteller überlassen hat, dazu später mehr) einen Riegel vorgeschoben. Es steht jetzt die Sicherheit und nicht wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund, was dazu führte, dass Boeing nun ein teures Simulatortraining für die Piloten empfiehlt.
Bei der Abnahme des Simulatorprogramms sind dann weitere Softwarefehler aufgefallen, was die Neuzertifizierung weiter verzögert. Dabei ist die Hauptuntersuchung noch immer nicht abgeschlossen. Boeing versucht zwar noch immer, Hardwareänderungen zu vermeiden (auch wenn die europäische Zertifizierungsstelle EASA davon ausgeht, dass dies nicht ausreichen kann), inzwischen wurden aber Probleme bei der Verkabelung bekannt, die zu einer kompletten Neuverkabelung führen könnten. Eine funktionierende Lösung für das ursprüngliche Problem, das MCAS, gibt es übrigens immer noch nicht.
Neue Probleme sind im Zuge der Skandals aufgekommen, nachdem im letzten Jahr bereits Mitarbeiter (teilweise auch ehemalige Mitarbeiter) von Boeing öffentlich Kritik an den Arbeitsmethoden, unter anderem auch an den Sicherheitsbestimmungen, äußerten. Dies galt nicht nur für die Problembehaftete 737 MAX, sondern bezog sich ursprünglich auf das Langstreckenflugzeug 787 und betrifft inzwischen den gesamten Konzern. Bezogen auf die 737 MAX ist ein Ausspruch eines Mitarbeiters bekannt geworden, der inzwischen zu einem geflügelten Wort wurde: "Dieses Flugzeug wurde von Clowns entwickelt, die von Affen beaufsichtigt wurden." Aktueller Höhepunkt sind unzählige Fremdobjekte (bspw. Werkzeug, Lumpen, etc.), die bei Routinekontrollen hinter Wartungsklappen der Flugzeuge und selbst in den Tanks der aktuell abgestellten Maschinen gefunden wurden. Bei den bei Boeing geparkten Flugzeugen sind nach Herstellerangaben zwei Drittel der Maschinen betroffen, deswegen müssen jetzt auch bereits ausgelieferte Flugzeuge kontrollierte werden.
Nachdem Boeing die Produktion der Maschine bereits im April des letzten Jahres drosselte, wurde im Dezember beschlossen sie zum Jahresanfang 2020 gänzlich auszusetzen. Dies lag zum einen an akuten Platzproblemen (inzwischen warteten über 400 Maschinen auf ihre Auslieferung, es wurden sogar Mitarbeiterparkplätze genutzt um die Flugzeuge abstellen zu können), zum anderen auch an den finanziellen Belastungen, denn Mitarbeiter und Zulieferer mussten auch ohne Auslieferung bezahlt werden. Neben Kurzarbeit hat dies nun auch zu weiteren wirtschaftlichen Problemen bei anderen Unternehmen geführt, vom Triebwerkshersteller bis zum Innenausstatter.
Neben dem Hersteller ist auch die FAA als Zertifizierungsstelle weiter in der Kritik. Die gängige Praxis, nach dem ein Hersteller aus Kostengründen sicherheitskritische Prüfungen in Eigenregie durchführen darf und die Ergebnisse von der FAA akzeptiert werden, steht dabei im Mittelpunkt und soll sich für die Zukunft ändern. Üblicherweise kooperieren die Zertifizierungsstellen der verschiedenen Länder miteinander, so werden FAA-Zertifikate von der EASA (der europäischen Flugsicherheitsbehörde) ohne eigene Kontrolle übernommen, umgekehrt gilt das gleiche, da man sich auf gemeinsame Standards geeinigt hat. Dieses Verfahren hat die EASA (und andere Zertifizierungsstellen) inzwischen für die Boeing 737 MAX ausgesetzt, sie will nicht nur die Berichte anderer abnicken sondern selbst kontrollieren. Am grundsätzlichen Verfahren wird sich tendenziell eher nichts ändern, auch um das nicht zu einem Politikum werden zu lassen, da ansonsten der Zertifizierungsprozess zu einem Druckmittel bei Handelsstreitigkeiten führen könnte.
Wie eingangs erwähnt ist eine Wiederaufnahme des Luftverkehrs mit der 737 MAX nicht absehbar. Aktuelle Prognosen gehen nicht davon aus, dass dies vor Mitte des Jahres passieren wird, es kann allerdings auch noch deutlich länger dauern. Deswegen stehen bereits etliche Fluggesellschaften unter starkem Druck, weil eingeplante Maschinen fehlten sind unzählige Flüge ausgefallen und die Leasingpreise für Ersatzmaschinen explodiert.
Das nur als "kurze" Zusammenfassung der Entwicklung, in den Medien wurde nur noch punktuell und aktuell aus nachvollziehbaren Gründen quasi gar nicht mehr berichtet.