Wer auch immer der "Experte" war, die Prüfungen finden hinsichtlich des INF-Vertrags schon seit fast 20 Jahren nicht mehr statt (weil sie nur für die Anfangszeit vereinbart waren). Der Vertrag selbst war von Anfang an bereits löchrig, weil er sich nur auf die landgestützten Mittelstreckenraketen bezog, nicht aber auf die seegestützten und dementsprechend auch nicht auf die Sprengköpfe selbst. Dabei ist es dem Flugkörper selbst völlig egal, ob er von Land oder von einem Schiff aus gestartet wird (nur aus der Luft ist es etwas anderes, weil deutlich einfacher). Während also etwa die USA ihre landgestützte Version des Tomahawk-Marschflugkörpers im Zuge des INF-Vertrags abrüsteten, wurde die schiffsgestützte Schwestervariante des gleichen Marschflugkörpers ständig weiterentwickelt. Das gleiche passierte auch auf sowjetischer bzw. später russischer Seite, das System RK-55 wurde abgerüstet, die von Unterseebooten verwendete Variante S-10 hingegen weiter entwickelt, was in der seegestützten Version Kalibr mündete. Das sind alles Flugkörper mit einer Reichweite von 2.000 bis 3.000 km, die mit geringstem Aufwand zur Verwendung von Land aus umgebaut werden konnten, die aber dafür bloß nicht zertifiziert waren. Die entsprechenden nuklearen Sprengköpfe gab und gibt es auch bereits, auch hier reichen die Anpassungen von "unnötig" bis "geringfügig". Und das war der legale Teil.
Die gegenseitigen Vorwürfe basieren auf darüber hinausgehende Entwicklungen, allerdings von beiden Seiten anders geartet. Während die Vorwürfe Russlands sich vornehmlich auf die Installation der Raketenabwehr in Osteuropa konzentrieren (weil das System grundsätzlich auch in der Lage ist, die zuvor beschriebenen Tomahawks von Land aus einzusetzen), betreffen die NATO-Vorwürfe eine komplett neue russische Waffe, deren Leistungsdaten von russischer Seite ziemlich unrealistisch ausfallen, mangels Kontrollen aber nicht überprüfbar sind.
Was die europäische Sicherheit betrifft, so muss man realistisch sagen, dass durch die Aufkündigung des Vertrags ein entsprechender nuklearer Angriff damit natürlich günstiger und unberechenbarer wird, das grundsätzliche Risiko hat sich aber kaum verändert. Trotzdem steigt natürlich der Druck hinsichtlich der eigenen Verteidigungshaushalte, was prinzipiell das Ziel sowohl von Russland wie auch den USA ist. Darüber hinaus hat es für Russland und die USA aber noch weitere Vorteile, erstere können ihr Bedrohungspotenzial auf die unmittelbare Nachbarschaft (von Europa über den Nahost und Zentralasien bis hin in den Fernen Osten) deutlich erhöhen, letztere sind nicht mehr eingeschränkt in der Entwicklung entsprechender Systeme um ein entsprechendes Bedrohungspotenzial gegen China aufzubauen.
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Was Putin angeht, der wird geliebt und gehasst, mit einem breiten Feld dazwischen (vor allem außerhalb Moskaus), wobei die Motive nicht immer logisch erscheinen. Da gibt es Menschen, denen geht es jetzt deutlich schlechter als je zuvor, und sie beten Putin fast wie einen Messias an, weil sie immer noch an Besserung glauben. Umgekehrt gibt es einige, denen es tatsächlich besser geht, die aber trotzdem ein Problem mit der Art und Weise haben, wie Putin das Land regiert. Es kommt also sehr darauf an, was für ein Hintergrund derjenige hat, mit dem man über ihn redet.